Antirassismusgruppe
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Gesprächskreis gegen Rassismus – „Antirassismus-Gruppe“
Als Anfang der 90er Jahre die Angriffe gegen Flüchtlinge und MigrantInnen eskalierten – heute noch erinnern die Namen Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen daran –, beschlossen wir im Kölner Appell gegen Rassismus e.V. in der Jugendabteilung der Justizvollzugsanstalt (JVA) Köln eine Gesprächsgruppe gegen Rassismus zu organisieren. Obwohl der Verein von der Stadt Köln als Interkulturelles Zentrum und Freier Träger der Kinder- und Jugendhilfe anerkannt und seine Mitgliedschaft im Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband (DPWV) bekannt war, dauerte es über ein Jahr, bis wir zugelassen wurden. Am 8.10.1993 konnte das erste Gruppentreffen stattfinden. In den folgenden Jahren hörten wir immer wieder, dass auch andere, die in der JVA mit und für Gefangene ehrenamtlich arbeiten wollten, über ein Jahr warten mussten, bis alle Hürden genommen waren.
Während wir in den 90er Jahren draußen in der Stadt mit vielen anderen in Aktionsbünd-nissen mit Demonstrationen, Plakaten, Flugblättern und Diskussionsveranstaltungen gegen diejenigen protestierten, die mit „Ausländer raus“-Parolen und „Das Boot ist voll“ Ängste und Hass schürten, waren wir in der Jugendabteilung der JVA tatsächlich an einem Ort, in dem Menschen ohne deutschen Pass die Mehrheit stellten. Damals waren das zeitweise bis zu 70 und 80% der Jugendlichen in der Untersuchungshaft. In unseren Info-Blättern über die Vereinsarbeit interpretieren wir diese Tatsache auch heute noch so:
„Der hohe Anteil der Menschen ohne deutschen Pass in unseren Gefängnissen - wo traditionell die Armen und Ohnmächtigen nahezu unter sich sind – ist für uns kein Ergebnis ihrer Charaktereigenschaften, sondern ein Resultat ihrer strukturellen Diskriminierung. Mit unserem seit Anfang der 90er Jahre bestehenden Projekt Haftvermeidung wenden wir uns gegen „Law and Order“ und fordern statt der Bekämpfung der Armen, die Überwindung der Armut und weisen immer wieder darauf hin, dass sich Kriminalitätsursachen nicht abschieben lassen.“
Der Gesprächskreis findet an einem Nachmittag in der Woche von 15.30 bis 17 Uhr in der Jugendabteilung der JVA Köln statt. Teilnehmen können bis zu zehn männliche Jugendliche und Heranwachsende im Alter von 14 – 20 Jahren.
Die Teilnahme ist freiwillig. Die Jugendlichen erfahren von der Gruppe durch einen Aushang am Schwarzen Brett in ihren Hafthäusern und mündlich durch die Teilnehmer. Wer mitmachen will, muss einen Antrag schreiben und wird von dem für die Freizeitkoordination zuständigen Beamten auf die Warteliste gesetzt. Da es für die inhaftierten Jugendlichen allein schon attraktiv ist, aus der Zelle zu kommen, gibt es für die wenigen Freizeitangebote in der JVA immer mehr Interessenten als freie Plätze. Bei Jugendlichen, die gemeinsam mit anderen angeklagt werden, kann es sein, dass der Haftrichter bzw. die Haftrichterin „Tätertrennung“ angeordnet hat. Solange diese „Tätertrennung“ besteht, ist die Teilnahme nur für einen möglich. In der Vergangenheit kam es hin und wieder vor, dass ein Jugendlicher durch die JVA ausgeschlossen, z.B. weil er in eine Schlägerei verwickelt war oder Drogen gefunden wurden. Aber in der Regel können die Jugendlichen auf unseren Wunsch hin auch weiter teilnehmen, wenn gegen sie aus disziplinarischen Gründen „Popshop“ (= Freizeitsperre) verhängt wurde.
Die Arbeit mit den Jugendlichen ist zum einen den allgemeinen Zielen des Kölner Appell gegen Rassismus e.V. verpflichtet, d.h. sie ist an der Auseinandersetzung mit Antisemitismus, Rassismus, Sexismus und Rechtsextremismus orientiert. Da die inhaftierten Jugendlichen in der Regel sozial benachteiligte Jugendliche sind, gehört zu den weiteren Aufgaben dieser Gruppenarbeit die Hilfe bei der Entwicklung und Förderung der sozialen Kompetenzen. Einige müssen zum Beispiel lernen, in der Gruppe vor anderen den Mund aufzumachen oder andere ausreden zu lassen. Außerdem kommen häufig die Straftaten zur Sprache. Bei der Reflektion der Taten ist es manchmal notwendig, deutlich zu machen, dass bei einem Wohnungseinbruch der angerichtete Schaden nicht nur finanzieller Art ist und von einer Versicherung behoben werden kann. Wenn die Jugendlichen begreifen lernen, was es bedeutet, wenn sich Menschen nach dem Einbruch in den eigenen vier Wänden nicht mehr heimisch fühlen, werden sie auf eine Weise mit der Perspektive der Opfer von Straftaten konfrontiert, die es ihnen ermöglicht, sich wirklich ernsthaft entschuldigen zu können. Diskutiert wird bei Bedarf auch die Bewältigung des Haftalltags und die anstehenden Strafverfahren. Viele wünschen sich, dass wir zu ihren Verhandlungen kommen und erhoffen sich von unseren Bescheinigungen über ihre Teilnahme an der Antirassismusgruppe, dass sie in einem günstigeren Licht wahrgenommen werden, als durch das, was man über sie in der Anklageschrift nachlesen kann. Gerade wenn es darum geht, denjenigen etwas von ihren Ängsten zu nehmen, die noch nie vor Gericht waren, stellen wir in Rollenspielen eine Hauptverhandlung nach und geben so den Jugendlichen die Möglichkeit, sich in das hineinzudenken, was im Gerichtssaal auf sie zu kommen wird.
Die in der Gesellschaft gewachsene Armut und die oft damit verbundene Verelendung spiegelt sich in der gestiegenen Zahl von Jugendlichen, die von ihren Familien nicht oder nur ganz unregelmässig besucht werden. Da trotz aller Bemühungen von Seiten der JVA für alle Jugendlichen Ausbildungsmassnahmen und Arbeit zu organisieren, nicht genügend Ausbildungsplätze und Arbeitsstellen vorhanden sind, haben viele der Jugendlichen kein Geld. Denjenigen, die niemanden haben, bieten wir an, uns ihre Paketmarken zu geben, damit wir ihnen das Jahres-, Oster- oder Weihnachtspaket schicken können. Für diese mittellosen Jugendlichen haben wir auch eine Spendenkampagne für Radios und Fernseher initiiert.
Da in der JVA Köln nur eine Untersuchungshaft-Abteilung für männliche Jugendliche besteht, werden diejenigen, die nicht entlassen oder freigesprochen werden, in der Regel in die Jugendstrafanstalten nach Heinsberg oder Siegburg verlegt. Die Briefe, die viele von dort an uns schicken, dokumentieren, wie wichtig die Antirassismusgruppe für sie war.
Und das sicher auch, weil es in der Gruppe nicht nur um Probleme ging. Genauso wenig wie die Jugendlichen draußen von morgens bis abends damit beschäftigt waren, Straftaten zu begehen, versuchen sie in der Haft ein normales Leben zu leben. Und da spielen Musik, Sport, Kochen, Filme, Poster usw. dieselbe Rolle wie bei Jugendlichen draußen. Mit Geburtstagsfeiern, zu denen sich die meisten wünschen, dass wir Döner mitbringen und den Vorführungen von aktuellen Wunschfilmen, kommen wir dem entgegen.
In den Anfangsjahren wurde die Gruppe von hauptamtlichen MitarbeiterInnen des Kölner Appell geleitet, seit einigen Jahren machen das Studentinnen und Studenten der Katholischen und der Staatlichen Fachhochschule, die auf diese Weise ihr Jahrespraktikum absolvieren.
In den Jahresberichten des Vereins aus den letzten Jahren können ihre Berichte über ihre Arbeit nachgelesen werden: www.koelnerappell.de